Piano-Forte
Mischtechnik, zwei Serien: Spiel der Kräfte, Tanz der Kräfte (Katalog mehrsprachig 1999)
In vielen Arbeiten von Margret Kohler-Heilingsetzer ist der weibliche Mensch im Facettenreichtum weiblicher Gefühlswelt, von fein differenzierten Befindlichkeiten bis zur seelischen Erschütterung, vom sanften Piano bis zum eindringlichen, unüberhörbar en Forte. Es geht ihr darum, den oft beobachteten Versuchen, Weiblichkeit auf einige wenige Klischees zu reduzieren, ein vielschichtiges, interessantes und wirklichkeitsnahes Frauenbild entgegenzustellen. Selbsterfahrung als stete Auseinandersetzung mit sich selbst als Frau, als Künstlerin im Dialog mit ihrem Werk, das Weibliche im Dialog mit dem männlichen Prinzip, das sich selbst- Erfahren an den Grenzen zum – ergänzenden – Anderen stehen im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Tätigkeit der letzten Jahre.
Angeregt und fasziniert von dem Film ‚Das Piano‘ von Jane Campion stellt M. Kohler-Heilingsetzer, selbst eine begeisterte Cineastin, ihre eigene spezifische Sichtweise der Problematik mit ihren künstlerischen Mitteln dar. Der Film spielt in der Kolonialkultur Neuseelands im 19. Jh. Hauptfigur ist eine der Viktorianischen Kultur entstammenden junge Frau, die zwecks Heirat mit einem ihr unbekannten Farmer in das Dickicht der ihr ebenso fremden Neuseeländischen Kultur verpflanzt wird. Ihr Klavier ist nicht nur ihr eigener Besitz, der sie übers Meer begleitet, sondern auch ihre Möglichkeit zu kommunizieren, denn Ada ist stumm. Dieses Klavier spielt daher eine bedeutende Rolle in Adas problematischer Beziehung zu ihrem Ehemann und ebenso in ihrer allmählich entstehenden, sich zum leidenschaftlichen Crescendo steigernden Beziehung zu ihrem neuseeländischen Nachbarn, der die Geheimnisse ihrer Kultur und weiblichen Seele über die Sprache des Musikinstruments zu verstehen lernt. Inhalt, Bilder, Symbolik des cineastischen Produkts transponiert M.K.-H. mit bemerkenswerter Sensibilität und Technik auf ihre eigene künstlerische Ebene: Es entstehen Überarbeitungen in Mischtechnik von mehrfach wiederkehrenden selbstgedruckten Radierungen, wobei Strukturen als Gedanken-, Erinnerungs- und Zeitfelder bewußt eingesetzt werden. Sich überlagernde Strukturen sind Ausdruck der Spurensuche in der ‚inneren Archäologie‘, Risse, Vernarbungen, Aufbrüche bilden gleichsam die archaische Tiefenstruktur der Urweiblichkeit, auf der sich neue individuelle Möglichkeiten entfalten können.
Die kadermäßig entstandenen Grafiken, eine Kombination von Zeichnung und Druck, sind ein Versuch, die durch das Medium Film so rasch aufeinanderfolgenden Bilder in ihrem umfassenden Symbolgehalt festzuhalten und ihnen in grafischen Sequenzen eine neue Dimension zu geben. In zwei Sequenzen zu je neun Bildern werden ‚Momentaufnahmen‘ aus dem Handlungsablauf präsentiert. Die Reihung der Bilder symbolisiert die Annäherung an das Fremde, ein Hinabtauchen, Sich-Einlassen auf Unbekanntes und ein Sich-Besinnen im Auftauchen, Sich-Einlassen auf Unbekanntes und ein Sich-Besinnen im Auftauchen. IN der Bildfolge ‚Spiel der Kräfte‘ fasziniert der spielerische Umgang mit dem Wagnis, Neuland – auch im emotionalen Bereich – zu betreten. Das sanfte, neugierige Ausprobieren, Auskosten der Natur, der Elemente, der Erotik, der Verstrickung der Gefühle, das Entlangtasten an den Grenzen der Machbarkeit und der Gebote der Kultur findet seine extreme Steigerung im Erleiden ebenso verzweifelter wie grausamer Domestizierungsversuche. Das sanftere, geradezu lyrische Gegenbild ist die Sequenz ‚Tanz der Kräfte‘, das Versinken der Frauenfigur im Wasser, ein Schweben, ein spielerisches Absinken, Aufsteigen, ein Kreisen im Sog des Wassers, ein ambivalent-genießerischer Tanz in Todesnähe, das Ausloten der letzten, endgültigen Grenze.
Die Verstrickungen der Seele finden ihre Symbolik in den Verästelungen und Verschlingungen des undurchdringlichen Gestrüpps und quellenden Morasts Neuseelands. Demgegenüber weist die Transparenz des Wassers auf die oberflächliche Leichtigkeit des Seins, die sich aber allmählich in undurchdringlicher Dunkelheit voller Gefahren in der Tiefe verliert, vergleichbar der menschlichen Seele.
Wasser bedeutet Urquell und Symbol des Lebens, es ermöglicht Wachstum, gibt Nahrung; Wasser kann alle unsere Sinne betören oder beleidigen, kann das Gefühl prickelnder, sinnlicher Erotik vermitteln, des Vergehens von Raum und Zeit in der schwerelosen gefahrvollen Ungewissheit des ‚Landens‘ oder ‚Strandens‘. Es ermöglicht regloses Sich-treiben-Lassen und ebenso fatales Mitgerissen-Werden, Schwerelosigkeit wie Zentnerschwere im Widerstand gegen den Sog, es verführt zum genussvollen Spiel mit den Wellen oder zwingt zum Kampf gegen sie, es grenzt sich ab gegenüber Land und Luft und hinterlässt doch in beiden zarteste bis zerstörerische Spuren und wird so zum Sinnbild für die Zeit. Vermeeren oder versanden als sanfte Berührung der Elemente mit vagen flexiblen Grenzen, Betonung der Gegensätze und ihre Auflösung, ein Werden und Vergehen. Nichts vermittelt uns so drastisch und formenreich die Möglichkeiten der Veränderung wie das Wasser. Leben ist Veränderung. Der künstlerisch schaffende Mensch hält diese Veränderung im Augenblick fest.
Der Zyklus ‚Piano‘ entstand 1995, als sich M.K.-H. selbst in einer Zeit starker emotionaler Spannungen befand und die persönliche Auseinandersetzung mit fremden Kulturen suchte. In Jane Campions Film schienen sich der Künstlerin Parallelen zum eigenen Leben, zur eigenen Befindlichkeit aufzudrängen, und zum anderen ergab sich die Gelegenheit, sich intensiv mit den künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten des Elements Wasser zu beschäftigen, denn das Wasser, das Meer, hatte für die Künstlerin immer schon besondere Bedeutung und Faszination. (M.-L. Leitner)